Ich muss mich erinnern. Nichts vergessen. Also zwinge ich mich, zu üben. Übungen, um zu erinnern. Aber welche? Wie kann ich lernen, das Vergessen zu verdrängen, es behindern beim Ausbreiten, verhindern zu vernebeln und abzudecken die Stadt, die Welt, mich, MICH.
Wissen die Leute hier in der U-Bahn wie das geht, wenn sie morgens in ihren Zeitungen, Büchern oder dem Bildschirm ihrer Hadys starren? Vielleicht üben sie bereits, nur ich, ich weiß davon nichts. Ich hätte sie besser beobachten sollen. Aber so eine U-Bahnfahrt ist weder eine gute Gelegenheit noch ein passender Ort, um etwas so Wichtiges zu lernen. Wie soll das denn gehen? Youtube-Tutorial? E-Learning? Ein „Dummy fürs Erinnern“? Ich weiß ja nicht. Das ist nicht so ganz meins.
Es gibt bestimmt Kurse bei der Volkshochschule. Da gibt es doch so einiges, warum also nicht einen über Vergessensverdrängung? Was würde ich da tun? Vielleicht sitzen wir dann alle im Kreis, sagen vor uns alles auf, alles, ganz laut, wie Mantras, wippen leicht mit dem Oberkörper, rezitieren immer und immer wieder, um das Vergessen zu verdrängen, weg, weg von uns, von unserem Erlernten, Erinnerungen, Gedanken, Geschichten, Namen, Adressen, Geschmäckern, Gerüchen, Gefühlen, fort, fort, fort mit dir! Würden wir alle gemeinsam aufschreiben, mit Lauten in die Luft, mit Wasser auf den Boden, Blick in den Augen, Gästen in der Sicht, gegen das Vergessen, gegen das Fressen der Vergänglichkeit an unserem Gedächtnis.
Das ist alles mein Versäumnis. Ich schreibe zwar, mit Kulli die Kladden voll, tief gebeugt mit Schostakowitsch im Ohr. Ich verdränge durchaus, aber nicht das Vergessen. Ich blende nur diese Menschen aus.