Pupuze Berber

Der Weg ist immer das Ziel

Am nächsten Tag, kurz vor der Abreise, sind wir zu den drei konischen Grabstätten (Kümbet) gegangen, die aus der Zeit der Seldschuken stammen. Vieles konnten wir nicht richtig besichtigen, denn sie wurden restauriert. Die Läden in der kleinen Gasse machten gerade auf. Vor einem stellte der Verkäufer seinen Souvenirs-Ständer vor die Tür. Meine Schwester schaute sich mit den Kindern die Sachen an, während ich mit Murat, meinem Schwager, etwas abseits die drei Kümbets fotografierte. Dann kamen zwei Männer auf uns zu und brachten zwei kleine Hocker. Wir sollten Platz nehmen und mit ihnen Tee trinken. Diesen hätten sie gerade frisch zubereitet. Wir wollten aber losfahren und mein Schwager versuchte nach Kräften abzuwehren, doch die Gastfreundlichkeit ist hier unheimlich stark. Wir gaben nach. Und warum auch nicht? Wir nahmen Platz, die Gastgeber setzten sich dazu und wir unterhielten uns. Touristen kämen nicht mehr viele. Im Winter kämen schon welche zum Skifahren, aber diese würden in All-Inclusive-Hotels untergebracht und würden auch sonst ihren Berg und ihr Skigebiet nicht verlassen. Die Stadt hätte nichts von ihnen. Doch beklagen wollten sie sich trotzdem nicht. Es ginge Ihnen gut soweit, sie hatten ihre kleinen Läden, wo sie Wasser und diese Souvenirs verkauften.

Diese Unterhaltung tat uns gut. Wir hatten uns auf etwas eingelassen, uns nicht nur von den eigenen Vorstellungen treiben lassen, sondern hatten uns eben an äußerliche Gegebenheiten angepasst. Wir hatten bisher diese Art von spontanen Einladungen vehement abgelehnt und stets unseren Plan eingehalten, der zwar zeitlich nicht mehr so passte wie ursprünglich geplant, aber immerhin bestimmten wir ihn selbst. Nun saßen wir auf niedrigen Höckern und tranken Tee mit den beiden Männern, deren Augen irritierend-schöne Farben hatten, ein heller Bernstein, das fast ins Grün-Blaue rutschte. Zugegebenermaßen hatten sie ihre besseren Zeiten hinter sich, im Mund fehlte der ein oder andere Zahn, aber die Augen waren nach wie vor schön anzusehen. „Vor allem die ausländischen Touristen bleiben aus. Früher habe ich Touren organisiert. Im Sommer hatten wir sehr viel zu tun. Aber jetzt haben wir diese kleine Hütte, wo wir einheimischen Besuchern Souvenirs verkaufen“, erzählte einer der beiden.

Wir verabschiedeten uns und setzten unsere Reise fort. Die steilen Berge gab es nicht mehr. Nun waren wir auf dem anatolischen Hochplateau und fuhren durch changierende Farben dieser Landschaft Richtung Sivas. Die Sonne schien, die Straße fast leer, nirgends eine Bebauung, sie ist neu, es haben sich noch keine Tankstellen und die üblichen Rastplätze angesiedelt. So hatten wir unsere Mühe, für einen kurzen Aufenthalt etwas zu finden, wo wir einen Tee trinken konnten. Dann sahen wir in der Ferne einen Flachbau und wir fuhren auf den Parkplatz, wo sonst kein Auto stand. Draußen sengende Hitze, drinnen im Laden angenehm kühl. Es war kein Restaurant, oder Café, was wir erwartet hatten. Es war ein großer Einkaufsladen, der Produkte aus der Region bot. Trockenobst, Sirup, „eau de cologne“ aus Tabak, „Lokum“, auch „Turkish Delight“ genannt, eingelegtes Gemüse in Gläsern. Wir fragten nach Tee, den sie nicht fertig hatten, aber einen Kaffee, einen türkischen Mokka könnten Sie uns schnell zubereiten. Zwei junge Frauen und ein Mann standen hinter der langen Theke. Ein Familienbetrieb, so neu mit viel Liebe aufgebaut, die Produkte sahen jedenfalls einladend aus. Wir durften probieren und kauften reichlich ein. Draußen im Schatten tranken wir unseren Mokka. Dann brachte uns der Mann den Tee. Sie hatten ihn doch noch aufgesetzt, obwohl wir uns für den schnellen Kaffee entschieden hatten. 

Wir freuten uns und tranken den Tee, den wir nicht bezahlen durften. „Das geht aufs Haus, seien Sie bitte unsere Gäste.“ Wir bedankten uns bei diesen großartigen Menschen, denn wo werden Fremde so empfangen, seien sie auch nur Kunden. Ich verstand so langsam diese innige Menschlichkeit, denn auch wenn man Geschäfte betreibt, ist der Kunde ein Mensch. Es kommt also darauf an, sich auf dieser Ebene zu begegnen, jemanden eben nicht nur als Geschäftspartner zu sehen, sich ebenfalls nicht nur als solche zu begreifen. Diese Herzlichkeit, die unaufdringlich ist und mich zu tiefst berührt hat. Falls jemand in der Gegend sein sollte: bitte hier einkehren.

Im Auto unterhielten wir uns lange darüber, denn auch meine Schwester und mein Schwager waren beeindruckt. In den großen Städten ist diese menschliche Innigkeit verloren gegangen, oder verschwunden, so dass diese Beiden so etwas selten erlebten. Und an Orten, an denen es viel Tourismus gibt, sind die Menschen ganz anders. „Wir können nur hoffen, dass sie das in Anatolien immer beibehalten.“ Dem kann ich zustimmen. Aber vielleicht könnten wir daraus lernen, diese Gabe wieder in uns aufkeimen zu lassen.