Pupuze Berber

Erzurum

Irgendwann hörten die Felsen auf und eine Weite öffnete sich, flach begrünt, doch das Grün nicht tief und dunkel wie an der Küste, sondern mit einem Hauch Gelb gemischt. Der Himmel dagegen fleckenlos blau, die Sicht sehr weit. Wir sind in der Hochebene von Erzurum angekommen. Obwohl alles so flach ist, liegt Erzurum auf knapp 1900 Höhenmetern.Wir fanden unser Hotel an einer großen Straße. Eigentlich ist es ein „Lehrer-Haus“, so wird es zumindest genannt, eine staatlich geförderte Übernachtungsmöglichkeit für Beamte, wie Lehrer es hier alle sind. Uns wurde es von einer Arbeitskollegin von Murat empfohlen, weil das Haus zentral gelegen ist. Später sahen wir, dass es auch andere Hotels gab. Also muss man nicht unbedingt dort schlafen, was für uns aber soweit OK war, bis auf die Hellhörigkeit der Wände und den renovierungsbedürftigen Zustand der Sanitäranlagen. Dass wir in der Nacht nicht gut schlafen konnten, lag an der Höhe, wie ich am nächsten Tag von meinem Mann erfahren habe. Aber zuvor waren wir in einem traditionellen Restaurant „Cağ kebabı“ essen. Man nimmt Platz und es werden Vorspeisen wie Salat, Joghurt und die rote scharfe Pasta bestellt. Dann geht der Kellner mit einem Silbertablett herum, worauf Fleischspieße gehäuft sind, die er auf die Teller verteilt. Das Fleisch ist auf sehr dünne, an Stricknadeln erinnernden, Spieße aufgespießt, das von einem großen Fleischhaufen geschnitten wurde, der – ähnlich wie der Döner gedreht – hier aber horizontal am Feuer gebraten wurde. Es schmeckte köstlich. Es gab dünnes Fladenbrot, womit wir kleine Pakete machten und damit Fleisch, Salat und Soße einpackten und umwickelten. Und wenn der Teller mit dem Fleisch leer war, kam der Kellner erneut vorbei, bis man ihm signalisierte, dass man satt war. Abgerechnet wurde nach der Anzahl der Spieße.

Nach dem Essen machten wir uns auf in die Stadt, wo tagsüber an die 35°C herrschten. Doch abends kühlte die Temperatur auf gerade mal 17°C runter und wir begannen mit den sommerlichen Kleidern an zu frieren. In einem Strumpfladen kaufte ich dicke Strumpfhosen für mich und für meine Tochter und erst als wir sie angezogen hatten, gingen wir in die Altstadt. Die Altstadt war klein und ein wenig heruntergekommen, doch dann öffnete sich das Haus der „Erzurum Evleri“.http://www.tarihierzurumevleri.com/portfolio.html Tatsächlich sind darin alte Behausungen, samt Gassen dazwischen, zu einem lebendigen Museum zusammengelegt und restauriert worden. In der Halle, der Empfangsraum eines Herrenhauses, gab es ein Restaurant mit unterschiedlichen Tischen und Sitzmöglichkeiten, je nachdem mit wie vielen Leuten man dort zu Gast war, wo man sich wohl fühlen würde. Im hinteren Raum, erreichbar über ein paar Stufen, ein großer Saal; dort waren Tische wie zum Bankett aneinander gereiht, in der Mitte jedoch viel Platz. An der Wand brannte Holz in einem großen Kamin. In der rechten Ecke waren Musiker untergebracht. Sie spielten volkstümliche Lieder aus der Gegend. Die „Dadaş“, die Bevölkerung hier wird so genannt, sind durchaus konservative aber sehr herzliche Menschen, die ebenso keinerlei Vorteile oder Berührungsängste gegenüber Fremden zu haben scheinen. Zumindest hatte ich diesen Eindruck. Das mag daran liegen, weil Erzurum an der Seidenstraße liegt und als Rastplatz errichtet wurde. Davon zeugt die große Karawanserei, die es zu besuchen gilt. Aber noch sind wir in den „15 Häusern“. Es gibt im Vorraum kleinere, plüschige Ecken und Sofas, die  für Paare sehr einladend wirken. Auf den Emporen links gab es eine Art „Hochnest“, erreichbar über drei Stufen, wovor die Schuhe ausgezogen werden mussten, denn oben ist das Nest mit Teppichen und Kissen ausgelegt. In der Mitte ein großes, mit traditionellen Mustern gestochenes Kupfertablett auf einem 6-Fuß-Ständer, wo man im Schneidersitz die Mahlzeiten zu sich nimmt. Wir wählten diese traditionelle Sitzweise, zogen unsere Schuhe aus und machten es uns gemütlich. Die Kinder setzten sich auf die Stufe, die wie ein kleines Sofa an der Wand ausgelegt und mit bunten Teppichen und Kissen geschmückt war. Da wir vorher schon gegessen hatten, bestellten wir uns Tee, und dazu nur etwas Süßes. Doch der Nachtisch war so üppig, dass jeder höchstens drei Löffel davon essen konnte. So ist es hier auch üblich;  es wird für die Mitte bestellt, und der Kellner bringt so viele Löffel wie es Anwesende am Tisch gibt.

http://www.tarihierzurumevleri.com Diese Süßspeise ist nicht als Dessert zu verstehen, denn die Bevölkerung, die hier lebt, ist im Winter auf äußerste Kälte und Schnee eingestellt. Da ist das eine ganze Mahlzeit mit reichlich Energie. Es wird Maismehl zusammen mit Milch aufgekocht und mit getrockneten Früchten und „Pekmez“, ein Sirup aus eingekochtem Fruchtsaft, vermischt. Dann noch ein Ei und Käse untergemengt, also eine ganz deftige Mahlzeit.Der Tee kam in zwei übereinander gestapelten Kupferkannen mit einem eigenen Stöfchen zu uns. Dazu die kleinen, typischen Gläser zum Trinken. Zucker und Kandis, für alle die den Tee „kıtlama“ trinken. „kıtlama“ ist eine Trinkart, die hier in der Region üblich ist. Dazu wird ein Stückchen Kandis mit den Zähnen abgebrochen und in einer der Backentaschen aufbewahrt. Der Tee wird dann schluckweise getrunken, so dass der Zucker erst im Mund den Tee süßt. Wir machen das nach aber mein Zuckerstückchen war schon nach einem Glas bereits weggeschmolzen. Kenner dieser Art des Tee-Trinkens können eine ganze Kanne mit  nur einem einzigen Stückchen trinken, wurde uns berichtet.
Während wir unseren Tee und die Süßspeise genossen, in halb liegender Position, fingen im hinteren Raum mit dem Kamin, wohin wir aber durch unsere Position eine gute Sicht hatten, einige der Männer an zu tanzen. Sie reihten sich aneinander, junge Männer, in feinen Stoffhosen und gebügelten Hemden, teils sogar mit Krawatte. Sie tanzten im Kreis einen typischen Tanz aus der Region. Ich fragte meine Schwester, ob wir nicht mitmachen wollten, aber wir trauten uns nicht.
Dann gingen wir, um die ganzen alten Häuser und Gassen zu besichtigen, die zwar überdacht waren, man aber durchaus die einzelnen kleinen Behausungen sehen konnte. Dabei waren die jeweiligen Gassen nicht breiter als ein Flur, teilweise noch enger, so dass man tatsächlich den Eindruck hatte, in einem sehr großen und verwinkelten alten Haus unterwegs zu sein. Die Räume waren unterschiedlich dekoriert, so wie es früher mal hier ausgesehen hatte. Der Besitzer hat alles detailgenau restaurieren lassen und wenn man wollte, hätte man das Haus auch als Museum einfach so besichtigen können, ohne etwas konsumieren zu müssen, mit einem kleinen Museumseintritt, das allerdings nur tagsüber.Die Nacht war kalt und an Schlaf war nicht zu denken. Beim Frühstück stellten wir fest, dass wir Erwachsene – wenn auch nicht gut geschlafen – trotzdem nicht müde waren. Vermutlich auch eine Wirkung der Höhenluft.Die Besichtigung der alten Karawanserei, die heute auf zwei Ebenen viele der traditionellen Silber-Schmuckläden beherbergt, war ein weiterer Höhepunkt. Laden an Laden nur Silberschmuck. Wir Frauen drückten uns die Nasen an den Schaufenstern platt und letztendlich kauften wir reichlich ein. Am Abend reihten sich im Innenhof der Karawanserei Tisch an Tisch. Wir nahmen Platz und bestellten einen „Samowar“. Dann kamen die verschiedensten Verkäufer mit Essbarem vorbei, hier sagt keiner was dagegen, wenn Speisen auch von anderen den Gästen angeboten werden. Die Tische gehören zwar einem Teehaus, aber alle anderen Verkäufer von Sesamkringeln und anderen Leckereien, die teilweise von älteren Frauen angeboten wurden, sind nicht verboten. Es gilt hier überhaupt ein ganz anderes Verständnis von einem Gast. Es sagt keiner was, wenn man sein mitgebrachtes Wasser trinkt und dann den Müll auf dem Tisch stehen lässt. Sie sind sehr großzügig. Wir tranken unseren Tee, Kinder spielten um uns herum. Jeder Stuhl, jeder Tisch war besetzt, die meisten Einheimischen, wenn Touristen, dann inländische wie wir, die die abendliche Kühle genossen und sich mit ihren Kindern, Familien und Freunden hier in der alten Karawanserei in Gespräche vertieften und dabei die beliebten Sonnenblumenkerne aßen.https://www.kulturportali.gov.tr/turkiye/erzurum/gezilecekyer/rustem-pasa-kervansarayi-tashan