Pupuze Berber

Das Meer und wir

Am nördlichsten Punkt der Türkei
Wir verließen Sinop an einem stürmischen Tag. Auf unserem Programm stand der nördlichste Zipfel der Türkei, mit dem Leuchtturm, den mein Schwager unbedingt sehen wollte. Die Straße schlängelte sich aus den Häuserreihen hinaus, bergauf in einer kargen Landschaft, mit steilen Hängen zum Meer, die mit Gestrüpp bewachsen waren. An einer besonders schönen Stelle machten wir einen kurzen „Foto-Halt“, um die tosende Brandung zu sehen. Der Wind wehte so stark, dass er die Autotür gegen das Bein drückte, fast unmöglich, auszusteigen. Die Kinder ließen wir drinnen, aus Angst, sie könnten sich nicht gegen den Wind halten und weggeweht werden. Derweil beschwerte sich meine Tochter. Sie wollte Schwimmen gehen, was ich ihr versprochen hätte. Aber, woher sollte ich wissen, dass es so stürmen würde. Doch das Kind gab keine Ruhe. Wir beschlossen, uns aufzuteilen. Ich blieb mit ihr am Strand und meine Schwester fuhr mit ihrem Mann und ihrer Tochter zum Leuchtturm. 






Das Schwarze Meer
































 
Der Wind wurde am Strand zu einem Sandsturm. Wir gingen ins Wasser. Am Stand lagen die leeren Liegen, die zur Seite gedreht waren. Ein paar junge Männer und ein großer Straßenhund, ein Kangal Hirtenhund-Mischling, waren die einzigen, die wie wir am Strand waren. Sonst hatten wir Meer und den langen Sandstrand für uns alleine. Das Wasser war relativ kalt; wir konnten nicht lange drinbleiben. Legten wir uns an den Strand, wurden wir augenblicklich vom Sand paniert. So wechselten wir uns ab, mal plantschten wir im erstaunlich ruhigen Wasser, mal lagen wir paniert auf der Liege. Der feine Sand verteilte sich schnell. Binnen Sekunden lag eine Schicht auf unserer Haut.
 
So vergingen Stunden, und der Wagen mit den anderen kam nicht. Weil wir mit nichts als unseren Handtüchern und Bikinis am Leib am Strand geblieben waren, machte ich mir Gedanken, was zu tun wäre, sollte das Auto überhaupt nicht mehr zurückkommen, aus welchen Gründen auch immer. Auch Daphne musste die gleichen Gedanken gehabt haben, denn sie erwähnte, das Auto wäre fort, und wir würden nun das ewige Spiel zwischen Meer und Sand bis zur Erschöpfung wiederholen. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, gab es ein kleines Restaurant. Ich würde umhüllt in meinem Badehandtuch dorthin gehen und Hilfe holen. Am besten die Polizei anrufen lassen oder wen auch immer? Ich hatte mein Handy mit der gesamten Tasche im Auto gelassen und alle Telefonnummern ebenfalls.
Es war eine unglaublich selbstverschuldete dumme Situation, in der ich mich befand. Dazu noch meine Tochter, der ich Mut einreden musste, denn es reichte, wenn einer sich Sorgen machte. Es waren mehr als drei Stunden vergangen, wo wir zwischen kaltem Meer und Sandsturm abwechselten. Gott sei Dank kann Daphne nie genug vom Wasser bekommen. Wenn ihre Stimmung beim Liegen auf unserer Liege zu kippen drohte, wo ich sie fest umschlungen auf meine Brust drückte, damit sie keinen Sand in die Augen bekam, schlug ich ihr vor, Schwimmen zu gehen. Und augenblicklich löste sie sich aus der engen Umklammerung und rannte dem Sturm davon, ins Wasser. Nur war ich fast am Ende mit meinen Kräften. Noch eine Runde im Meer und dann ins Restaurant, dachte ich, als ich das Auto kommen sah. Endlich, Erlösung.
 
Der Grund der dreistündigen Verspätung: der Sturm hatte einen Strommast umgerissen, worauf die Leitung auf der Fahrbahn gelegen hatte. Der Wagen vor ihnen war nicht drübergefahren und hatte angehalten, wie auch mein Schwager. Wenig später war ein Wagen der Stadtwerke gekommen, hatte aber nichts unternommen und war auch nicht über die auf der Fahrbahn liegende Leitung gefahren, sondern umgedreht und weggefahren. Sie waren bereits auf dem Rückweg zum Strand und die Straße die einzige asphaltierte. Sie mussten umdrehen und Ackerwege nehmen, die sonst von Traktoren befahren werden. An einer Stelle hatte mein Schwager das Auto unten auch noch gegen einen großen Stein geschrammt, so dass es tropfte, als sie uns abholten.
 
Während sich Murat zusammen mit dem Besitzer der Liegestühle die Pfützen unter dem Auto ansahen, wobei dieser wie ein Sachverständiger mit seinem Feuerzeug überprüfte, ob sie entflammbar waren, also ob es Öl oder Benzin war, ging ich mit meiner Tochter zu den Duschkabinen, um den ganzen Sand von uns abzuwaschen. Zurück zum Auto fachsimpelten beide Männer immer noch. „Es sei kein Benzin“, sagte der Liegestuhlverleiher, aber mein Schwager solle auf jeden Fall zu „Sanayi Çarşısı“ hinfahren, eine Werkstättencity direkt vor der Stadt, wo sich sämtliche Autoreparaturhäuser versammelt hatten. Es gab die Straße der Peugeots oder der Renaults, und mit ein wenig Mühe und Nachfragen fanden wir auch die Werkstatt, die sich auf Volvo spezialisiert hatte. Kurz vor Feierabend kamen wir da an und der Meister lachte herzhaft, als mein Schwager ihm durch das offene Fenster seine Befürchtungen wegen den Tropfen erzählte. „Das ist bestimmt die angesammelte Flüssigkeit der Klimaanlage, aber ich schaue es mir mal an.“ Und außerdem, fügte er hinzu, sei der Volvo unten komplett zu, da hätte kein wichtiger Schaden entstehen können. Er lachte schelmisch und schaute zu den anderen in seiner Werkstadt und dann fragte er Murat, warum er sich keinen Geländewagen kaufte, denn er wäre so ein Geländewagentyp.
Mein Schwager lachte und gab ihm die 50 Lira. Wir amüsierten uns dann beim Fahren, stellten uns vor, wie er sich über uns lustig machte, den anderen Mitarbeitern von uns erzählte, wie er abends nach Hause ging und seiner Frau und seinen Kindern von uns berichtete, von uns Ahnungslosen, die nicht wussten, dass ein Volvo unten komplett dicht ist. „Da kaufen sie sich einen Wagen, wissen aber nichts über ihn.“, wird er den anderen erzählen und seine Zuhörer würden ihm zustimmen. „Abi, neulich kam einer zu mir“, wird ein Kollege den Ball aufnehmen und seine eigenen Erfahrungen mit Kunden berichten. Wir erzählten uns diese Möglichkeiten, wie unser Meister und seine Kollegen über uns lachen würden, und lachten selber von ganzem Herzen. Und das ging eine ganze Weile. Das ist ein wunderbarer Humor, den ich dort beobachten konnte. Ich glaube, hier würde so eine Situation anders verstanden werden. Die süffisanten Bemerkungen von dem Automechaniker würden vermutlich als kundenfeindlich empfunden werden und überhaupt würde sich kein Dienstleister so frech gegenüber einem Kunden geben. Wir genossen jedoch die Situation des dummen und ahnungslosen Kunden und lachten mit, fanden Argumente und weitere Anekdoten, was er über uns wohl so alles zu erzählen vermochte, und fuhren dabei Richtung Süden. Die grünen Berge ließen wir hinter uns. Die Serpentinen wurden anstrengend, die Landschaft kahl, wie ich sie aus meiner Kindheit kannte. Die ockerfarbenen Hügel, wo ich als Kind dachte, hier könnte man tolle Cowboy-Filme drehen. Eine ganze Weile begleitete uns rechts und links dieses sanfte Gelb. 
 
Passend zum Meer das Lied von Dario Morano “Deniz ve Mehtap”
 
 
 
 
Und später, als wir durch die gelbe Hügeln fuhren etwas besänftigendes. Zugegeben, meine Auswahl an Lieder waren selten aus der Türkei, weil ich diese Musik leider nicht sehr gut kannte.