ALI: Ey, wo bist du die ganze Zeit gewesen? Ist dir eigentlich klar, wie lange ich schon halbnackt bei der Oberstudienrätin auf ihrer alten Couch rumhocke? Gib endlich Stoff!
ICH: Ähm, ich glaube, du bist bei mir falsch gelandet.
KOMMISSAR: Schräder, wir müssen die Leiche des Chinesen finden. Die machen mir schon Druck.
ICH: Hä? Wer macht Druck?
KOMMISSAR: Spar dir die doofen Fragen, Schräder. Wo ist dieser tote Mann?
ICH: Moment mal, wovon reden Sie? Ich weiß nichts von einer Leiche.
ISABELL: Ich fahre ziellos durch die Gegend und rauche eine nach der anderen. Die Autoscheiben sind gelb vom Nikotin. Es will mir einfach nichts in den Sinn kommen.
JENNY: Wo ist Ali? Wo steckt er bloß?
ICH: Ali? Gerade hat sich ein Ali bei mir gemeldet. Ein blöder Zufall?
OBERSTUDIENRÄTIN: Ich möchte auf der Stelle nach Hause! Mein Adonis wartet auf mich. Und ich hänge in einem stinkenden U-Bahn-Tunnel fest. Hol mich hier sofort raus, sonst rufe ich die Polizei!
KOMMISSAR: Frollein, die Polizei hat schon alle Hände voll mit toten Chinesen zu tun. Wir bergen keine festgefahrenen Pendler. Schräder!!!
ICH: Wer seid ihr denn alle? Woher habt ihr meine Nummer?
ALI: Du weißt ganz genau, wer wir sind. Ich will hier raus. Ich will zu meiner Jenny. Bring mich zu ihr – jetzt!
ICH: Warum ich?
ALI: Aja, wer macht hier die Geschichte? Schreib mir halt ´nen Taxi, was weiß ich! Wenn du das nicht hinkriegst, dann zieh mir wenigstens ein T-Shirt an. Hier läuft so `ne dumme Smart-Klimaanlage, die kein Schwein bedienen kann.
ICH: OK. Ich lade euch mal alle in einen Gruppen-Chat ein. So, jetzt können wir von vorne anfangen.
ALI: Jenny, bist du da?
JENNY: Ja, endlich finde ich dich!
KOMMISSAR: Und ich dich, mein Kätzchen! Hier steckst du also.
JENNY: Herr Kommissar, kennen wir uns?
KOMMISSAR: Ähem, na, nein, liebes Kind. Ich habe nur versehentlich im falschen Chatfenster geschrieben. Weißt du, ich spiele viele Nebenrollen und habe sie nun durcheinandergebracht. Hier bin ich der Kommissar. So Kollegen, ich habe langsam die Schnauze voll von diesem schlechten Improtheater. Reißt euch zusammen, ihr habt einen Ermittlungsauftrag! Wo ist die Leiche? Sie kann doch nicht einfach so verschwinden!
ICH: Moment mal. Ich glaube, ich kann mich so langsam an euch erinnern. Bist du der Ali aus meiner Kurzgeschichte, die ich nie fertiggeschrieben hab?
ALI: Ja, der Ali, der übrigens viel lieber Botaniker geworden wäre. 14 Jahre, drei Monate und fünf Tage. So lange sitze ich schon auf einem „Kanapee“, was auch immer das sein soll.
ICH: Und als ich dich verließ, warst du tatsächlich in Iris‘ Wohnung. Du hast auf sie gewartet, weil du wieder bankrott warst, weil du gezockt und dich verschuldet hattest. Du bist zwar eine Augenweide, aber sonst zu nichts zu gebrauchen.
ALI: Glaubst du, ich wollte so geschrieben werden, oder was?
JENNY: Oh Ali, du hast mir doch versprochen, diese Oberstudienrätin nicht mehr zu besuchen. Wie konntest du mich belügen?
ALI: Jenny, Liebste, Engelchen, kleines Rosinenkrümelchen, das war doch nur, weil ich etwas Geschäftliches mit ihr besprechen wollte.
OBERSTUDIENRÄTIN: Wie bitte? Das war geschäftlich? Meinst du, ich habe dir das ganze Geld gegeben, nur um dich anzuschauen? Ich dachte, wir sind für einander geschaffen und du würdest für immer bei mir bleiben. Ich könnte doch für dich sorgen.
JENNY: Wenn du für jemanden sorgen willst, kauft dir doch einen Hund. Er ist mein Freund und wir lieben uns. Ali, sag ihr das endlich!
OBERSTUDIENRÄTIN: Was soll er mir sagen? Dass ich ihm immer wieder den Arsch rette? Er wäre gestorben, wenn ich nicht gewesen wäre. Ist dir das klar? Er verdankt mir sein Leben. Was hast du ihm denn anzubieten, du kleine Göre!
JENNY: So gefällt dir Ali, was? Hauptsache, er hängt an deinem Tropf, und du kannst ihm das ständig unter die Nase reiben. Wie lange muss er noch seine Schuld bei dir begleichen? Mich liebt er einfach so. Ich muss ihm dafür auch nichts geben. So ist nämlich wahre Liebe!
OBERSTUDIENRÄTIN: Kann ich mir gut vorstellen. Wahre Liebe im Jugendzimmer. Du wohnst doch bestimmt noch zu Hause bei deinen Eltern.
JENNY: Wenigstens bin ich nicht so alt, dass ich Alis Mutter sein könnte!
KOMMISSAR: Liebe Jenny, du hast was Besseres verdient als einen Gigolo. Schick ihn einfach zum Teufel und hilf mir lieber meine Leiche zu finden.
OBERSTUDIENRÄTIN: Welche Leiche? Kann mir das bitte jemand erklären? Was hat dieser Typ hier zu suchen?
ICH: Ja! Sorry, wieder so eine unfertige Geschichte von mir, ein Krimi, der sich um eine Leiche dreht. Sie ist unerklärlicherweise verschwunden.
KOMMISSAR: So ist es. Meine Aufgabe hier ist, sie zu finden. Leider wieder eine Nebenrolle. Dabei hätte sie mehr Beachtung verdient.
ALI: Mein Handy! Sie rufen mich an. Ich bin geliefert…
OBERSTUDIENRÄTIN: Wer ruft an?
ALI: Nicht der Shanty-Chor. Natürlich die vom „Import-Export“. Ich hab` Schnee gestohlen. Dumme Aktion.
KOMMISSAR: Jenny, da hast du dir aber ein ganz feines Bürschchen angelacht. Gigolo alleine reicht ihm nicht, er muss auch noch mit der Unterwelt zu tun haben. War der Chinese involviert?
ALI: Hä, wie denn das? Ist er nicht tot?
KOMMISSAR: Ja, aber davor hat er gelebt.
ALI: Mach Sachen.
KOMMISSAR: Er war nämlich unser Mittelsmann.
ICH: Moment…Es sind zwei unterschiedliche Geschichten gewesen, keine gute Idee, sie jetzt zu vermischen…
ALI: Genau. Jetzt geht es nur um die Geschichte mit dem Chinesen, ne? Alles klar! Dann kann ich ja `nen Abgang machen, bevor die Offenbacher Koksmafia mich umlegt. Häh? Wo ist die Tür. Die war vorhin noch da.
ICH: Das war so nicht vorgesehen. Du bist immer noch in meiner Geschichte und ich bestimme, schon vergessen?
OBERSTUDIENRÄTIN: Das wäre ja noch schöner. Du bleibst schön da. Glaubst doch nicht, dass ich dich einfach so gehen lasse, du Dummerchen…
ALI: Verfluchte Scheiße! Kann ich wenigstens endlich ein T-Shirt haben?
OBERSTUDIENRÄTIN: Nicht, bevor wir unseren prickelnden Höhepunkt hatten.
JENNY: Das ist ja abartig. Was bildet sich diese Cougar ein!
ISABELL: Ihr habt vielleicht Probleme. Ich würde alles für eine klitzekleine Idee geben. Ich fahre immer noch in der Gegend herum und doch ist mein Kopf leer. Warum fällt mir nichts ein? Warum kann ich kein einziges Wort schreiben? Wo sind meine Kippen?
ICH: Schreib doch das auf, was die anderen erleben. Warum marterst du dein Hirn, wenn die Geschichten von allein zu dir kommen?
ISABELL: Das sind doch deine Geschichten. Keine Ahnung, was du dir dabei gedacht hast.
ICH: Weiß nicht. Ist schon lange her. Bedien dich ruhig.
ISABELL: Außerdem kenne ich hier niemanden. Ich lese nur, was die anderen in der Gruppe schreiben. Und es ist alles so durcheinander.
ICH: Dann entwirr sie! Das wirst du doch bestimmt können, oder?
ISABELL: Wenn ich nur den Anfang hätte. Es müsste doch so ein Plot zu jeder Geschichte geben. Du hast sie nicht sauber ausgearbeitet.
ICH: Ähm, ja, kann schon sein. Weißt du, unter uns, ich habe sie nicht mal irgendwo notiert. Sie sind nur Sprachaufnahmen auf einem Diktiergerät.
ISABELL: Da haben wir es! Du nimmst nichts ernst. Und dann soll ich dir da raushelfen, dieses lose Bündel zusammenzubinden, um eine Story daraus zu stricken?
ICH: Na ja, immerhin habe ich ein paar Ideen gehabt. Du scheinst vom Schreiben so viel zu verstehen wie ein Kirschkern von der Zahnkrone.
ISABELL: Deine Metapher ist ebenfalls schlecht. Mich überrascht nichts mehr.
KOMMISSAR: Liebe Isabell, ich bin voller Geschichten. Wenn nur diese Leiche wiederauftauchen würde. Hilf mir sie zu finden, dann erzähle ich dir ganz viel.
ALI: Ich kann auch mitmachen, nur müsstet ihr mir den Arsch retten.
OBERSTUDIENRÄTIN: Du hast mir doch versprochen, mit ihnen nichts mehr zu tun zu haben.
ALI: Ist keine neue Geschichte, ich schwör.
JENNY: Muss Ali sich in seiner Geschichte mit diesen Offenbachern herumschlagen? Reicht es nicht, wenn er einfach bei mir im Hotel arbeitet? Können wir seine nicht anders schreiben?
OBERSTUDIENRÄTIN: Das wäre langweilig. Niemand interessiert sich für einen jungen Mann, der völlig normal ist.
JENNY: So wichtig ist dir Ali also. Nur Mittel zum Zweck.
ISABELL: Mit irgendwas muss ich ja anfangen, also, ich notiere: Ali, der seine trostlosen Tage halbnackt auf dem Sofa…
OBERSTUDIENRÄTIN: Eine Chaiselongue.
ALI: So ein Monsterding, das mich in sich aufsaugt.
ISABELL: Also gut. Nachdem Ali seine Tage auf dem menscheneinsaugenden Chaiselongue verbrachte, erwachte plötzlich in ihm der Wunsch, etwas zu tun, das ihn und seine ihm nahestehenden und geliebten Mitmenschen glücklich machen würde: Eine Lehre zum Koch. Zigarette?
ICH: Oh, Danke, ich nehme eine. Ich rauche zwar sonst nicht, aber so eine virtuelle Friedenskippe kann nicht schaden.
ALI: Tolle Lehre! Da bin ich das erste Mal in der Großküche. Alter, alles aus Edelstahl. Töpfe in allen Größen hängen über dem Kopf. Aber durfte ich irgendwas mit denen machen? Nöh. Ich war gerade gut genug fürs Gemüseputzen. Das war total langweilig.
KOMMISSAR: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Kein Meister fällt vom Himmel. So ein Hotel, insbesondere die Küche erfordert Präzision, glaub mir mein Junge. Du musst erst mal eine Karte entwerfen, die einen breiten Geschmack abdeckt. Dazu sollte auch immer etwas Außergewöhnliches dabei sein. Und saisonale Gerichte, daran erkennt man die wahre Liebe zur Gastronomie.
OBERSTUDIENRÄTIN: Für einen Kommissar kennen Sie sich sehr gut aus. Eine Nebenrolle, wie ich vermute?
KOMMISSAR: Ja, richtig. Hier bin ich aber nur der Kommissar. Damit das klar ist!
JENNY: Ich hab’s! Isabell, du beschreibst am besten, wie wir uns im Hotel begegnen und uns ineinander verlieben. Romantische Bücher sind die besten. Sie machen dich reich, glaub mir!
ICH: Aber du kennst Ali schon?
ISABELL: Was soll ich nun schreiben? Ihr bringt mich durcheinander…
KOMMISSAR: Wenn ich hier kurz unterbrechen darf? Nichts für ungut, liebe Jenny, aber Liebesgeschichten dienen einer bestimmten Klientel als Flucht aus der Realität. Wir wollen doch nicht fliehen, oder? Ich plädiere für einen Krimi. Liebe Isabell, wenn du über meine verschwundene Leiche schreibst, ist es doch viel spannender. Romanzetten gibt es schon so viele. Und im Kern sind sie alle gleich: Mann trifft Frau, sie verlieben sich, der Mann wird schwach, oder braucht Geld, geht fremd, es fließen die Tränen und am Ende kommen die Liebenden wieder zusammen. Anschließend wird es mit und von Til Schweiger verfilmt. Gähn!
ISABELL: Da haben Sie nicht ganz Unrecht, Herr Kommissar.
OBERSTUDIENRÄTIN: Im Glück mögen sich die Geschichten ähneln; in deren Unglück ist jede einzigartig, wie Tolstoi schon sagte. Wenn ich die Autorin wäre, dann würde ich meine Geschichte so schreiben: gepeinigt durch die Begierde der körperlichen Gelüste, oder besser noch, durch die permanente Suche nach deren Befriedigung. Ali wäre nur eins dieser Abenteuer. Ich könnte da so einiges erzählen.
ISABELL: Ach ja… so etwas wie die feministische Variante von Angélique? Die arme Angélique wurde als Sexsklavin verkauft und musste so einiges über sich ergehen lassen. Du sorgst selbst dafür, dass dir all das widerfährt, was ihr geschehen ist. Dabei scheint dir nichts heilig zu sein.
JENNY: So einen Schund würde niemand lesen! Isabell, warum schreibst du nicht deine eigenen Erfahrungen? Immerhin, mich hat es neugierig gemacht, wer du bist und warum du rauchend durch die Nacht fährst.
ISABELL: Es gibt nicht viel über mich zu erzählen. Ich habe nur die fixe Idee, einen Roman zu schreiben. Und das Rauchen… Vor ein paar Jahren habe ich in einem Interview gelesen, wie eine Schriftstellerin von sich sagte, sie könne nur schreiben, wenn sie dabei raucht. Zu Hause darf ich nicht rauchen. Mein Mann leidet an Asthma. Und die Nacht. Sie gehört einfach mir. Die leeren Straßen, die Lichtkegeln auf dem Asphalt, das alles gibt mir ein Gefühl von mir. Ich bin nur ich, wenn ich im Auto herumfahre und rauche. Und ich hoffe natürlich, die Geschichte meines Lebens zu finden.
ICH: Wie schön du das beschrieben hast. Ich habe mir das genauso vorgestellt, wie du durch die Nacht fährst. Wie eine Filmszene.
KOMMISSAR: Ich bin leider viel zu beschäftigt, um in einem Film mitzuspielen. Tagein, tagaus schlage ich mich mit Verbrechern herum. Und so kurz vor der Rente muss ich unbedingt diese Leiche abliefern. Sonst habe ich einen schwarzen Fleck auf meinem Lebenslauf als Kommissar. Ich bin der Kommissar, und wenn ich als Kommissar scheitere, ja, was bin ich dann? So spreche ich mich auch selbst an. „Guten Morgen Herr Kommissar“, sage ich, wenn ich morgens ins Bad gehe und mein Gesicht im Spiegel sehe. Wenn ich in einem Film mitspielen würde, würde ich ebenfalls den Kommissar spielen. Ich kann überhaupt gut in Rollen spielen – vor allem als Kommissar!
ICH: Hast du nicht auch einen Hotelier gespielt, in einer anderen Geschichte, die ich mal angefangen habe?
KOMMISSAR: Was weiß ich! Du hast überhaupt keinen Schimmer von deinen eigenen Hirngespinsten. Löst sich dein Verstand womöglich auf? Hier bin ich jedenfalls Kommissar…
ISABELL: …sagte er zum tausendsten Mal…
KOMMISSAR: … und ich habe einen Mittelsmann eingesetzt, um an Hintermänner ranzukommen.
ICH: Der Chinese.
KOMMISSAR: Genau, und bevor er seine Mission beenden konnte, starb er an einem Herzinfarkt.
ISABELL: Moment! Etwas langsamer. Sonst komme ich nicht mit. Ich notiere: Es gab eine Bande organisierter Verbrecher, richtig? Und dein Mittelsmann wurde in die Bande hineingeschleust, um dieses Verbrechen zu verfolgen. Dann ist er plötzlich gestorben…
ISABELL: Ja, aber was war das für eine Organisation? Man müsste doch wissen, was dieser Chinese dort machen sollte, oder?
OBERSTUDIENRÄTIN: Natürlich Schätzchen, du musst alles wissen, wenn du eine Geschichte schreibst. Sogar, was die Protagonisten für Unterhosen tragen. Insbesondere das! Ich meine bei den Männern, da gibt es Shorts und Slips und, ja, manche tragen auch nichts. Das alles muss die Leserin einfach wissen.
KOMMISSAR: Diese liebestollen Weiber, die habe ich echt zum Fressen gern!
OBERSTUDIENRÄTIN: Wie darf ich diese Gehässigkeit jetzt deuten, Herr Kommissar?
KOMMISSAR: Nichts für ungut, Gnädigste. Kannte mal so ein Flittchen. Gott sei Dank habe ich rechtzeitig einen Abgang gemacht.
OBERSTUDIENRÄTIN: Das ist so typisch. Wenn ein Mann wild rumvögelt, ist er ein toller Hecht, macht‘s eine Frau, ist sie gleich ein Flittchen.
KOMMISSAR: Sie hat mit ihren Jungs von der Oberstufe gevögelt. Und sie war meine Frau! Aber hier bin ich… ihr wisst schon. Isabell, du wolltest mehr vom Mittelsmann wissen, nicht wahr?
ISABELL: Was könnte das für eine Organisation sein. Eine Drogenmafia?
ALI: Leute, diese ganze Sache mit dem eingeschleusten Chinesen ist sowas von ausgelutscht. Kompletter Krimi-Kitsch. In dem Geschäft existieren bereits tief verankerte Strukturen. Da ist mit ‘nem Mittelsmann nichts zu gewinnen.
KOMMISSAR: Ach ja? Aber jemand namens Ali, der mit Koks handelt und Frauen abschleppt, soll ein origineller, klischeefreier Charakter sein, oder was? Und was weißt du von professioneller Polizeiarbeit?
JENNY: Ali kennt sich eben gut in der Szene aus, weil er deren Laufbursche ist.
KOMMISSAR: Darauf sollte niemand stolz sein, mein Kind!
ALI: Hör mir mal gut zu, Mann, ich habe mir diese Rolle nicht selbst ausgesucht. Ich wäre gerne Botaniker, weißt du, aber nein, wer Ali heißt, muss sich mit Offenbachern rumschlagen. Wieso überhaupt ein Chinese?
ISABELL: Ali hat Recht. Einverstanden, keine Drogen. Es muss etwas anderes sein, wozu ein Chinese gut passt.
JENNY: Vielleicht ist er nicht in der Mafia gewesen, sondern er war ein Mitglied des chinesischen Geheimdienstes. Das wäre doch sehr spannend, wie ein James Bond-Film.
ICH: Ob das glaubwürdiger ist als die Drogenmafia?
ISABELL: Er könnte wichtige Informationen kopiert und zum Verkauf angeboten haben?
KOMMISSAR: Nee, nee. Ich mach nicht bei einem internationalen Spionage-Thriller mit. Bin doch kein Lackaffe.
ISABELL: Darf ich kurz zusammenfassen? Es misslang eine gezielte Operation der Polizei, mit Einsatz eines Mittelsmannes eine kriminelle Organisation auszuhebeln. Der dafür vorgesehene Mann mit chinesischer Herkunftsgeschichte verstarb kurz davor.
OBERSTUDIENRÄTIN: Wie wär’s damit: Es handelte sich nicht um eine Drogenmafia, sondern um eine Kunstraubmafia, besser noch Raubkunst.
ISABELL: Beutekunst! Das ist es! Gestohlen aus Museen! Also legen wir los. Interpol war den Dieben auf der Spur. Sie sind über einen Mittelsmann, einen angeblich chinesischen Milliardär, mit ihnen in Kontakt getreten und wollten die Übergabe eines gestohlenen Werkes abwickeln.
ICH: Ja, natürlich! Das wird großartig! Der Verstorbene war ein angeblicher Käufer. Das ist wie ein Krimi aus den Sechzigern. Frauen mit hochtoupierten Haaren.
ALI: Mann, da waren gerade mal meine Eltern geboren. Ewig her.
ICH: Du hast Recht… Es ist eine blöde Idee, sorry. Wir bleiben in unserer Zeit. Damals gab es auch keine Chat-Programme. Sonst müssten wir unsere Unterhaltung aufs Telefon verlegen. Oder im Chat so tun, als würden wir telefonieren.
ALI: Telefonieren geht gut.
ISABELL: Du kannst bestimmt so einiges gut.
ALI: Ja Mann, unterschätz auch du mich ruhig. Ich habe sehr viel mehr drauf.
ISABELL: Na gut. Dann lass mal hören.
ALI: Es beginnt so: erster Tag im Hotel. Ich mache gerade eine Zigarettenpause auf der Terrasse und sehe Jenny. Sie stapelt die leeren Kaffeetassen auf ihr Tablett. Eine Aura wie flüssiges Gold. Plötzlich schaut sie auf, und rennt hastig hinein. Ich denke, war ich das? Habe ich sie erschreckt? Dabei kann sie mich nicht gesehen haben. Ich stand seitlich von ihr, sah sie im Profil. Ohne nachzudenken drücke ich die Kippe aus und laufe hinter ihr her.
JENNY: Stimmt, Ali kann Auren sehen! Er behauptet, dass jeder Mensch so eine Aura hat.
OBERSTUDIENRÄTIN: Ich habe eine rote Aura.
ALI: Bei Iris war es sowas von Rot, Alter! Ja, wie ein roter Sack, durch den das Sonnenlicht durchscheint. Sie war warm und einladend, so krass!
JENNY: Ein riesiges Ei war das, ein Monster-Alien-Ei hat ihn angezogen, um ihn auszusaugen.
ISABELL: Jenny, was genau hattest du gesehen? Warum warst du so erschrocken? Das könnte uns vielleicht in der Geschichte weiterbringen.
JENNY: Ach, das… Da war gerade ein Mann gekommen, dem ich nicht begegnen wollte. Hat hier aber nichts zu suchen.
ALI: Was für ein Mann. Dein Ex?
JENNY: Nein!
ALI: Wer dann?
JENNY: Nicht das, was du denkst.
ALI: Was denk ich? Nichts. Ich will’s nur wissen!
JENNY: Es war… Es war mein Vater.
KOMMISSAR: Ja, das war ich! Ich musste mich hier einschleichen, um dich zu finden. Das hattest du also im Sinn, nachdem du dein Jurastudium abgebrochen hast.
JENNY: Aber, Sie?
KOMMISSAR: Ja, ich! Dein Vater! Ich hasse die Rolle des schneidigen Kommissars. Die ist nichts für mich. Ich möchte nur noch dein Vater sein.
ISABELL: Oh Gott! Es wird schlimmer. Jetzt haben wir hier einen Fake-Polizisten.
OBERSTUDIENRÄTIN: Was? Der ist kein Kommissar?
KOMMISSAR: Ich bin ein alleinerziehender Vater, der sich Sorgen macht. Meine Tochter, mein Ein und Alles, sie hat ihr Jurastudium abgebrochen um eine Lehre als Hotelkauffrau anzufangen. Ich war fassungslos, als ich es hörte. Und ich bin es immer noch. Jenny, Kind, warum konntest du das nicht mit mir besprechen? Warum diese Heimlichkeiten all die Zeit?
JENNY: Och nee, da hab´ ich sowas von keinen Bock drauf…Papa, muss das sein?
KOMMISSAR: Ja, sonst kommen die Geschichten nie zu ihrem Ende!
JENNY: Na gut… Papa… es tut mir leid. Ich dachte, ich würde dich furchtbar enttäuschen, wenn ich dir die Wahrheit sage. Das Studium war sehr langweilig. Dieses Auswendiglernen, das ist nicht meins. Ich möchte mit Menschen zu tun haben, und zwar im Hotel, so wie ich aufgewachsen bin.
OBERSTUDIENRÄTIN: Sie hatten ein Hotel, Sie Möchtegern-Bulle?
KOMMISSAR: Das ist doch jetzt nicht mehr wichtig! Wollen wir jetzt nicht mit Ihrer Geschichte weitermachen?
OBERSTUDIENRÄTIN: Mit meiner Geschichte, ja? Dann bin ich eben deine Frau! Das hast du davon, wenn du deine Vorgeschichte verheimlichst!
KOMMISSAR: Wir beide, verheiratet? Du bist ja noch schlimmer als meine Ex-Frau…
OBERSTUDIENRÄTIN: Vielleicht bin ich ja deine Ex-Frau.
KOMMISSAR: Bitte… bitte nicht das…
OBERSTUDIENRÄTIN: Wir alle müssen Opfer bringen, um das Ende unserer Geschichten zu finden.
KOMMISSAR: Argh, na gut!
OBERSTUDIENRÄTIN: Na, nicht so widerwillig! Wenn wir uns schon als Familie wiedergefunden haben, sollten wir diesen Moment etwas auskosten. Vor allem, wenn wir einen gemeinsamen Feind haben.
KOMMISSAR: Wen meinst du – achso. Natürlich! Ali!
OBERSTUDIENRÄTIN: Ganz genau, Ali… Du Schuft, du mieser kleiner Halunke! Du hast nicht nur mein Geld, sondern mir auch meine Tochter gestohlen!
KOMMISSAR: Na, na, schwenke die Moralkeule nicht zu weit, denn sie könnte zurückschlagen. Wer war denn diejenige, die hinter kleinen Jungs her war? Hattest dir auch den passenden Beruf ausgesucht. Eine nimmer versiegende Quelle an Jungs, Futter für deine unstillbaren Gelüste. Jetzt ist auch noch der Freund deiner Tochter dran.
OBERSTUDIENRÄTIN: Jenny, Kleines, glaub mir, ich konnte nicht wissen, dass du mit ihm zusammen bist. Er hat nie viel von dir erzählt.
ALI: Scheiße Mann, Jenny, Zuckerschnute, Honiglippe, woher sollte ich wissen, dass sie deine Mutter wird?
JENNY: Warum muss sie meine Mutter sein? Sie ist doch voll peinlich.
ISABELL: Nicht nur peinlich, die Story hört sich für mich unsäglich schlecht an. Ein plumpes Familiendrama. Ali liebt Jenny und Iris, Iris liebt Ali. Vater, getarnt als Kommissar, deckt alles auf. Das ist eher was für die Bild-Zeitung!
OBERSTUDIENRÄTIN: Hört mal, ich möchte mich keineswegs rechtfertigen. Für mich ist die Liebe zu Ali mehr als körperlich gewesen. Ich fühlte mich für ihn verantwortlich, nachdem ich ihm das Leben gerettet hatte. Er sollte etwas Besseres werden als ein gutaussehender Kleinkrimineller. Aber dafür musste er von diesem Zeug runterkommen.
ALI: Man nennt es auch Gras.
OBERSTUDIENRÄTIN: Du hattest mir versprochen, solange du bei mir bleibst, dieses verdammte Ding nicht anfassen.
ALI: Das „Ding“ heißt Bong, und ich weiß nicht, wovon du sprichst.
OBERSTUDIENRÄTIN: Er war so voll, der ist mir fast vors Auto gefallen. Fragt ihn!
ALI: Nicht voll – breit! Es heißt breit! Hat in deiner Jugend niemand gekifft, oder was?
KOMMISSAR: Meine Frau hat ganz andere Laster. Ich sage nur: jeden Abend Château Migrähn. Leberzirrhose lässt grüßen.
ISABELL: Bleibt doch mal bei der Sache!
ALI: Ja, gut. Es stimmt schon. Es hätte mich beinahe erwischt. Jedenfalls stieg Iris aus dem Auto und da sah ich das rote pochende Etwas um sie herum. Es bewegte sich, warf strahlende Fäden zu mir rüber und zog mich an sich. Ich musste es berühren, mit den Händen kneten, mein Gesicht darin vergraben. Leute, das war so irre, da wusste ich: Es war ein Gottesbeweis! Er rettete mich, nicht nur vor dem Tod. Mein Leben hat ab da eine neue Wendung genommen. Allah hat viele Wege!
JENNY: Bullshit! Ali, hör damit einfach auf!
ISABELL: Was für ein Trip.
ICH: Das, was dir fehlt.
OBERSTUDIENRÄTIN: Er mag gewiss etwas übertreiben. In Wirklichkeit kam ich vom Besuch meiner Oma aus dem Krankenhaus, als er mir vors Auto lief. Mein Vater war schon tagsüber bei ihr gewesen, weil an dem Abend so ein Finale war. Deutschland gegen irgendwen, was er auf jeden Fall nicht verpassen wollte. Mir ist Fußball so was von egal, also fuhr ich allein hin. Ich konnte in letzte Sekunde bremsen. Es hat nicht viel gefehlt. Da stand er, wie ein paralysiertes Kaninchen, völlig weggetreten, und reagierte nicht auf meine Worte. Ich musste ihn mitnehmen, was blieb mir andres übrig? Zu Hause habe ich ihn erst mal gewaschen und frisch gemacht. Die ganze Nacht lang erzählte er von Strahlungen und Ausstrahlungen, von Stimmen und Toten, lauter so unzusammenhängendes Zeugs. Mir war das unheimlich und ich dachte, es muss an dem Stoff liegen, den er zu sich genommen hatte.
ALI: Junge, das war fast mein Ende. Ich werde verfolgt. Fast erwischen sie mich. Da bin ich in eine Sackgasse geraten und denke, das war‘s. Sie sind bewaffnet und hätten mich über den Haufen geschossen. Ich spreche schwitzend mein letztes Gebet, doch da höre ich eine Stimme, laut und deutlich, „noch nicht, denn du hast noch etwas zu erledigen. Lauf zum Eingang des Hauses hinter dir!“ Die Tür ist tatsächlich einen Spalt offen. Da gehe ich also rein, schiebe den Holzkeil zur Seite und die Tür fällt ins Schloss. Ich steige die Treppe hinunter zu den Kellerräumen und warte dort im Dunkeln. Keine Ahnung für wie lange, vielleicht bin ich eingeschlafen. Auf jeden Fall gehe ich wieder raus und da höre ich Schritte hinter mir. Scheiße, denke ich, und renne wie blöd los. Und gerate fast unter die Räder.
ISABELL: Ali hatte Glück, dass seine Retterin Iris sich auf dem Rückweg vom Krankenhaus befand und gut bremsen konnte. Er sah um Iris herum das Rot, worauf er unentwegt starrte. Es war das Licht der Straßenlaterne, das Iris von hinten anstrahlte, und ihre hennagefärbten Haare verstärkten Alis Wahrnehmung ihrer roten Aura. Angst, Kälte, womöglich auch Hunger öffneten sein drittes Auge. Vielleicht aber auch nur die Drogen, die er zu sich genommen hatte.
ALI: Ich hatte keinen Hunger. Sie hat eine rote Aura, ich habe sie gesehen, auch wenn ich nüchtern war!
ISABELL: Ich schreibe doch kein Buch über Okkultismus. Du kannst es so gesehen haben, doch muss es für den Leser eine realistische Erklärung geben.
OBERSTUDIENRÄTIN: Ich muss sowieso etwas an deiner Erzählung korrigieren: meine Haare sind doch nicht mit Henna gefärbt! Sie sind von Natur aus kastanienrot. Das sollte bitteschön auch so geschrieben werden. Auf jeden Fall habe ich ihn dann zu mir geholt und aufgepäppelt wie ein krankes Vögelchen. Später hat er eine Lehre als Koch angefangen, wo er, wie ich gerade erfahren habe, meiner Tochter Jenny begegnet ist. Ich hatte doch keine Ahnung, Jenny war da noch nicht meine Tochter gewesen. Ich dachte, Ali hatte irgendein anderes beliebiges Mädchen.
JENNY: Es ist schon komisch. Ich habe gedacht, meine Mutter ist…
KOMMISSAR: … ein Flittchen. Sie hat dich und mich verlassen.
OBERSTUDIENRÄTIN: Ja – weil du mich dazu gezwungen hast! Du hast mir nämlich damit gedroht, die Schulbehörde einzuschalten und mich wegen Verführung Minderjähriger zu verklagen, wenn ich nicht gehe.
KOMMISSAR: Zu Recht!
OBERSTUDIENRÄTIN: Es war nicht meine Schuld. Jonas, dieser Oberstufenschüler, er war frühreif. Er kam mir immer schon so verdächtig nah, wenn er etwas nicht verstanden hatte. Ich dachte zunächst, er hört schlecht.
ISABELL: Stoppt mal! Ich glaube, wir bleiben besser bei der Geschichte mit der Leiche. Ich werde mit diesen Nebenschauplätzen nicht fertig. Sie sind so was von an den Haaren herbeigezogen. Das kauft mir kein Mensch ab, wenn ich so einen Mist schreibe.
ICH: Du kommst eben mit komplexen Erzählungen nicht zurecht. Geh halt und such den toten Chinesen, wenn dir alles andere zu viel ist.
ISABELL: Das Leben ist verwirrend genug, daher sollte alles Erfundene einen Erzählstrang haben. Und Unnützes muss dort raus.
JENNY: Ihr seid schuld dran. Ich hätte diese Erzählung so aufhören lassen: Ali arbeitet als Auszubildender im Hotel und hat sich dort in mich verliebt. Ich heile ihn von allen Lastern, auch von Iris. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Keine verstörende Verwandtschaft zwischen Iris und mir, keine Nebenschauplätze, einfach nur der Anfang einer zauberhaften Beziehung mit Happy End in Sicht. Hach!
ISABELL: Ich schreibe doch keinen Groschenroman.
KOMMISSAR: Wartet mal! An dem Abend, an dem der Chinese den Kunstraub-Deal einfädeln sollte, gab es ebenfalls ein Spiel. Ich erinnere mich, dass ich mich darüber aufgeregt hatte, ausgerechnet an dem Abend zum Einsatz zu müssen. Es war das Finale gegen Portugal.
ICH: Das kann nicht nur ein dummer Zufall sein.
ISABELL: Wer weiß das schon bei dir. Aber gut, dann bleiben wir eben an Alis und Iris‘ Kennenlerngeschichte dran. Iris, was genau hat Ali denn so alles gemurmelt in der Unfallnacht?
OBERSTUDIENRÄTIN: Was weiß ich, wirres Zeugs eben, unzusammenhängend. Ich musste laut lachen, weil er sagte: „du hast so viel Ahnung von Botanik wie Fische vom Stricken“. Da schrie er laut auf, und ich dachte, er ist böse auf mich, weil ich gelacht hatte.
ISABELL: Was schrie er?
OBERSTUDIENRÄTIN: Etwas wie „hör auf mit den kitschigen Kopfgeburten und Klischees, mach einfach einen Pflanzenforscher aus mir.“ Da sagte ich ihm, dass er dafür auf die Uni müsste, und natürlich würde ich ihm dabei helfen. Am nächsten Tag hat er nichts mehr davon gewusst. Er konnte sich wohl an nichts erinnern.
ALI: Ein Blackout.
ISABELL: Was hast du an dem Tag gemacht? Ich meine, bevor du gejagt wurdest?
ALI: So ‘nen blöden Job im Krankenhaus. Mein Cousin hat eine Reinigungsfirma und ab und an helfe ich dort aus.
KOMMISSAR: Du hast im Krankenhaus gearbeitet? In Offenbach? Die haben meine Leiche verloren.
ALI: Ja Mann, im Krankenhaus. Da bin ich gerade im Flur und schwenke meinen Mopp hin und her. Ich hab´ neuen Stoff geraucht. Der hatte es in sich. Auf jeden Fall höre ich, wie jemand über mich spricht. Ich schmeiße den Mopp in die Ecke und schaue nach, wer da ist. Da sehe ich einen weißen Reißverschlusssack, der atmet. Aus dem Sack schwebt Rauch nach oben. Ich habe ihn gepackt. War nicht sehr schwer.
ISABELL: Und?
ALI: Mehr weiß ich nicht.
KOMMISSAR: So war er, der Chinese. Klein, und nicht schwer.
JENNY: Ali muss ihm im Krankenhaus begegnet sein, als die Leiche dort frisch hingebracht wurde.
OBERSTUDIENRÄTIN: Eine Leiche kann aber nicht atmen.
ISABELL: Vielleicht dampfen?
ALI: Oder rauchen, was? Leute, was labert ihr? Ich hab´ sie richtig atmen sehen. Ein grünes Licht brannte an der Wand gegenüber und da sah ich ganz deutlich etwas aufsteigen.
ISABELL: Dampfende Leichen, strickende Fische! Ob ich daraus etwas Brauchbares zaubern kann?
OBERSTUDIENRÄTIN: Das sind erbärmliche Metaphern.
KOMMISSAR: Kirschkern und Zahnkrone hatten wir auch schon. Dabei weiß jeder, der eine Zahnkrone hat, wie schmerzlich diese beiden in Kombination sein können.
ALI: Oh Mann!
ISABELL: Du sagst es! Es ist sinnlos. Kaum haben wir eine Person eingefangen, driftet schon die nächste ab. So kriege ich niemals unsere Geschichten unter einen Hut.
ALI: Nein, warte!
ISABELL: Ich gebe auf. Habe auch keine Kippen mehr.
ICH: Wie, du willst schon aufgeben?
ISABELL: Du hast es schon vor Jahren getan. Schon vergessen?
ALI: Ich meine, sie ist …
JENNY: Schon gut, Ali, Iris ist meine Mutter, wir wissen das alle. Er hat wieder so ein Flashback. Kommt vom Kiffen.
ALI: Honigschnute, du süßeste aller Jahrmarkt-Candy-Mäuse, denk doch mal nach! Sie ist die Leiche! Sie hat all das Zeugs gesagt. Ey, kommt schon. Begreift ihr nicht? Das Meta-Ding!
KOMMISSAR: Halleluja! Nach Gottesbeweis jetzt die Meta-Ebene.
ISABELL: Ja… Äh, nein, Moment! Er meint mit Meta-Ding die Metapher! Fisch und Stricken. Jemand muss ihm das in der Nacht im Krankenhaus gesagt haben, wie Iris es uns gerade erzählt hat.
JENNY: Oder irgendwann davor. Ali hat schon immer mit sich gehadert. Vermutlich hat er deswegen all diese Drogen genommen.
KOMMISSAR: Nein, mein Kind, Ali hat mit Ich gehadert. Das Ich ist meine Leiche, ich habe sie nun endlich gefunden. Und es ist unser aller Kirschkern unterm Gebiss, der all seine Unzulänglichkeiten und Unfähigkeit auf uns überträgt, uns straucheln lässt, ohne richtige Bindungen im Wind flatternd. Und wofür alles? Für eine miserable Geschichte. Man sollte ihm das Handwerk legen.
ICH: Was? Spinnt ihr?
OBERSTUDIENRÄTIN: Ja, so ist es. Ali muss dir dort begegnet sein, in deinem Totensack. Er hat stets mit dir gehadert, er war sich seiner schäbigen Rolle bewusst.
ALI: Du hättest mir zuhören sollen. Dann wärst du ein besseres Ich und keine Leiche.
ICH: Ihr spinnt doch!
ALI: Ach, ja? Beweise uns doch mal das Gegenteil!
ICH: Ich muss euch gar nichts beweisen. Im Zweifel für den Angeklagten, oder nicht?
KOMMISSAR: Ich bin sehr zufrieden. Ich ist gefunden und überführt!
ISABELL: Ich hätte es wissen sollen. All dieses Versagen… Es ist vorbei, ich gebe das Schreiben endgültig auf! Ich will ein geregeltes Leben und acht Stunden Schlaf! Macht‘s gut, Leute!
(ISABELL hat die Gruppe verlassen.)
JENNY: Ali, der Witzbold mit seinen Auren und Gottesbeweisen. Dabei ist er nur einer Leiche begegnet.
ICH: Lasst mir doch meine Ruhe! Himmel noch mal, was seid ihr doch für Quälgeister!
ALI: Selbst schuld. Hättest du mich nur Botaniker werden lassen!
ICH: Wisst ihr was? Macht was ihr wollt!
(ICH hat die Gruppe verlassen.)
KOMMISSAR: Und jetzt?
ALI: Wir entscheiden, wie es weiter geht.
JENNY: Ich hätte da einen Vorschlag. Kommissar, du bist mein Vater, Iris meine Mutter und wir leben in unserem kleinen Familienhotel irgendwo in den Bergen.
ALI: Ich bin als Student der Botanik dort unterwegs, suche nach wilden Orchideen und bin Gast in eurem Hotel. Da begegne ich Jenny und verliebe mich in sie.
OBERSTUDIENRÄTIN: Ich habe einen wunderschönen Garten und werde nichts mit dir anfangen.
JENNY: Ich dafür umso mehr.
KOMMISSAR: So genau wollen wir das gar nicht wissen, Liebes.